Serie: Sleeper Band 3 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
Wer fickt hier wen?
Das ist zwar nicht die im Titel angesprochene Gretchenfrage, es ist jedoch die Frage, die sich der Held, seine Gespielin und mit ihnen der Leser während seiner Lektüre stellen.
Commander John Lynch, der Mann, in dessen Auftrag Holden Carver Taos Organisation infiltrierte, ist aus dem Koma erwacht und sucht den Kontakt zu dem I.O.-Agenten, wohl wissend - oder zumindest ahnend -, dass Carver nicht länger sein Mann, sondern mittlerweile zu Tao übergelaufen ist. Dementsprechend vorsichtig agiert Lynch und schickt zunächst seine Lakaien, damit sie Carver auf den Zahn fühlen.
Doch nicht nur Lynch hat ein Interesse an einem Treffen, auch Tao, der - wie er zugibt - schon seit einiger Zeit über das Erwachen seines Gegenspielers informiert ist, besteht darauf, dass der Agent seinem ehemaligen Commander gegenübertritt.
Mehr und mehr wird Holden Carver bewusst, dass er eine Figur in einem komplexen Ränkespiel zweier skrupelloser Akteure ist, dessen Regeln und Hintergründe er noch nicht durchschaut, welches er aber nach und nach zu verstehen beginnt.
Neben der desillusionierenden Erkenntnis der eigenen Manipulierbarkeit plagen den Agenten private Probleme mit seiner Geliebten Misery, deren promiskuitives Verhalten ihm zunehmend zu schaffen macht. Und die Rache an Diamanda M'Batu, der Verantwortlichen für den Tod seines besten Freundes, Genocide, will auch noch geplant werden.
Mit „Die Gretchenfrage“ beginnt die zweite Staffel von Ed Brubakers Cross Over aus Crime Noir und klassischer Superhelden-Story. Obgleich - oder vielleicht auch weil - die Serie die tradierten Grenzen beider Genres sprengt, gehört Sleeper nach wie vor zu den - gemessen an der Resonanz des breiten Publikums sowie der narrativen Qualität - am meisten unterschätzen Comic-Reihen.
Ein desillusionierter, orientierungsloser, amoralischer Held, undurchschaubare Scharaden zweier skrupelloser Puppenspieler und die ungewöhnliche, durch Rückblenden verschachtelte Struktur auf der erzählerischen Seite sowie das harte, dunkle, die Story perfekt visualisierende Artwork Phillips auf der künstlerischen erzeugen eine intensive, geheimnisschwangere und bedrückende Atmosphäre.
Nach wie vor liegt der Fokus des Autors auf einer glaubwürdigen Zeichnung und Entwicklung der Charaktere sowie eines realismusnahen Geschehens. Diesem Ziel ordnet er insbesondere den Aspekt des Superhelden unter, das heißt der Einsatz der übermenschlichen Fähigkeiten, welche zentrale Figuren besitzen, dient immer der Handlung und ist damit von der genreüblichen Inszenierung Spandexhosen oder schwarze Ledermäntel tragender Poser weit entfernt.
Ein kleiner Wermutstropfen ist der schmalbrüstige redaktionelle Teil dieses dritten Bandes, der sich in einem zweiseitigen Interview Ed Brubakers erschöpft.
Fazit: düster, hart, vielschichtig, von bestechend intensiver Atmosphäre. Für jeden Freund dunkler Comics ein Must Have.