Titel: Zwischenfall im Magic Land. Phantastische Erzählungen Eine Besprechung / Rezension von Karsten Kruschel |
Die österreichische Journalistin, Grafikerin und Autorin Barbara Büchner ist hierzulande ebenso unbekannt wie der Verlag, der ihren Erzählungsband "Zwischenfall im Magic Land" herausgebrachte. Ein Buch vom Wiener Frauenverlag nun ist, wie ich beim Lesen feststellte, nicht unbedingt eines, das vor lauter Feminismus keinen Spaß mehr macht: alles männliche Vorurteile.
Wie die für tumb gehaltene Computerknechtin ihren widerlichen Chef mit eben jener furchteinflößenden Maschinerie erledigt, mit der man (Männer) Gesellschaft beherrscht ("Karteileichen"), ist schon amüsant, ebenso wie "Der Unterschied", worin ein Filmkritiker seinen Verriß zu einer Eloge umschreibt. Barbara Büchner nimmt hier Selbstzensur und zutiefst krankes Denken auf die leicht unterkühlte Schippe. Die meisten Geschichten des Bandes sind allerdings nicht lustig, sondern beziehen Spannung und Reiz aus dem Einbruch unerklärlicher Phänomene in eine triste Welt, deren Tristesse den Protagonisten kaum noch bewußt wird.
Die literarischen Traditionen der Autorin werden in der Titelerzählung benannt: Edgar Allan Poe, Rainer Maria Rilke und Lewis Carroll, dessen Grinsekatze sich Barbara Büchner in einer teuflischen Reinkarnation ausborgt. Bezugspunkt des Buches bleibt immer die sehr genau gesehene Gegenwart; Lieblosigkeit, Eigennutz, Gedankenlosigkeit, all die moribunden Seelen der sogenannten modernen Gesellschaft.
Das Unerklärliche bricht ein, wo der eintönige Trott täglicher Routinen unterbrochen wird. Da weigert sich eine Straße, die Herzlosigkeit des reisenden Vertreters hinzunehmen, da wird ein simpler Mantel zum Inbegriff des Horrors, da liest eine Hausfrau ihre eigene Todesanzeige, ohne zu begreifen, und poliert weiter ihre Küche, während raffiniert gehandhabte Sprache dem Leser unablässig blutige Assoziationen eingibt. Da wird eine unscheinbare Jahresmarktmaschine zum kinderverschlingenden Moloch (Ray Bradbury läßt grüßen), eine dicke alte Frau emanzipiert sich mittels Mord und läßt vergnügt die Polizisten (alles Männer) abblitzen.
Eine Doppelgeschichte am Beginn des Buches thematisiert die Unfähigkeit, mit geistig Kranken umzugehen. Zunächst wird in "Die 99prozentige Lösung" eine orwellsche Psychiatrie besichtigt, ehe man in "Der Abschied" so bedrückend-beeindruckend in die Haut eines Insassen gerät, wie es vielleicht das berühmte "Einer flog übers Kuckucksnest" vermochte. Hier wie meistens bei Barbara Büchner lauert das Abgründige und Unheimliche ganz nah, wenn nicht gar in den Menschen selbst.
Einige Kunstgriffe schweißen die Texte zusammen: Eine karge Rahmenhandlung (fremde Menschen erzählen sich bei Stromausfall Geschichten) und die Programmatik der ersten und letzten Story: Neben dem Aufstand der Phantasie gegen nüchtern-rationalen Geist ("Zwischenfall im Magic Land") steht der Durchbruch animalisch-gewalttätiger Triebe in einem kleinen Mädchen, das entdeckt, daß es eine Werwölfin ist ("Entre nous") - die Autorin schreibt nun einen Werwölfin-Roman. Mit solch disziplinierter Sprache, solch unpratentiösen Worten, so unbekümmert phantastisch zwischen Science Fiction und Schauergeschichte fabuliert man heutzutage selten.