Eine Besprechung / Rezension von Melanie |
Das Cover des Buches ist ziemlich dunkel gehalten. Es zeigt ein dunkles Haus mit von bläulichem Licht erhellten Fenstern auf einer nachtschwarzen Klippe. Im unteren linken Teil des Covers befindet sich ein bläulich durchscheinender Schmetterling, vor der Klippe fliegt eine Motte mit grüngelb schimmernden Flügeln. Ein leicht gruselig wirkendes Cover, aber auch eines, das neugierig macht: Auf das, was in dem Haus und in den Klippen verborgen ist.
Der sechszehnjährige Adrian hat es nicht leicht mit seinem Leben: In seinem Kopf sitzt ein Tumor und an seiner Seite befindet sich eine Sammlung von Menschen, die nur er sehen kann – eine Auswirkung seines Tumors, so vermuten zumindest die Ärzte. Ob das Mädchen November auch nur eine dieser “Fantasiegestalten” ist?
Wenn man vom dunklen Prolog aus Sicht des geheimnisvollen “Bräutigams” absieht, erzählt Susanne Gerdom die Geschichte aus der Sicht von zwei Personen, November und Adrian. Der Fokus liegt dabei auf Adrian, einem wirklich sympathischen Jungen mit einigem Schreibtalent. Kein Wunder, schließlich sind die Bücher seines Vaters berühmt – zumindest die, die er unter dem Pseudonym Erica Mooreland veröffentlicht. Als Leser macht man sich schnell ein Bild von Adrian, der Einblick in seine Gedankenwelt lässt einen als Leser aber wirklich verwirrt zurück. Seine Schilderungen der Gestalten, die einzig und allein von ihm wahr genommen werden, lassen diese völlig lebendig erscheinen. Adrians Reaktionen auf sie lassen Adrian dann wirklich krank erscheinen (ich hätte ihm spontan Schizophrenie diagnostiziert). Als Leser steckt man damit in der gleichen Zwickmühle wie Adrian und kann selber nur schwer einordnen, was denn nun wirklich “real” ist. Auch November kann man nicht gerade als durchsichtig beschreiben. Sie ist abweisend und geheimnisvoll – und was einen als Leser wirklich irritiert sind die Tagebuchfragmente aus Novembers Tagebuch, die nur annähernd mit dem übereinstimmen, was tatsächlich passiert. Auch die Widersprüche bei den verschiedenen Begegnungen zwischen Adrian und November geben einem zu denken – und lassen den Leser immer wieder an Adrians (vielleicht sogar dem eigenen) Verstand zweifeln. Ein Zustand, den man eher von einem Thriller oder Drama als von einem Fantasyroman erwarten würden.
Ebenso wenig greifbar wie die Figuren ist die dunkle Aura, die das Haus auf den Klippen umgibt. Düstere Legenden ranken sich um das Haus, viele Gerüchte kursieren um das Haus und die Familie Vandenbourgh, der es gehört. Greifbare Informationen gibt es nur wenige. Die einzig wirkliche Quelle ist ein verbitterter und ziemlich heruntergekommener Journalist, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Geschichte des Hauses zu dokumentieren. Eine Aufgabe, die ihm eine Unmenge an Papier (dessen Zusammenhänge sich wohl nur ihm selbst erschließen), einen schlechten Ruf und jede Menge Ärger eingebracht hat. Aber gerade diese wenigen Informationsschnipsel lassen auch dem Leser einen kalten Hauch über den Rücken streifen, wenn das Haus ins Gespräch kommt – erst recht, wenn ein Besuch des Hauses (bzw. der Ruine) angedacht ist. Auch hier ist es schwer, die Realität im Auge zu behalten, zwischen ihr und dem Aberglaube der Dörfler zu unterscheiden.
Susanne Gerdom versteht es wirklich gut, den Leser zu verwirren. Eine ganze Geschichte aus Sicht eines Verwirrten zu erzählen kann man durchaus als Glanzleistung bezeichnen – auch wenn ich mir sicher bin, dass dies etwas ist, was nicht jedem gefallen wird. Ich persönlich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob mir die Geschichte gefällt. Sie ist spannend – dadurch, dass man als Leser bis kurz vor Schluss nicht weiß, woran man ist – mysteriös, düster und nicht im Geringsten vorhersehbar. Allerdings ist es eher eine Kost für Liebhaber von Mystery, für Leser, die nichts gegen einen leichten Hauch von Grusel einzuwenden haben und es lieben, über geheimnisvolle Geschehnisse nachzugrübeln. Klassische Fantasy ist “Das Haus am Abgrund” definitiv nicht, interessant ist es allemal.